Gute Hoffnung trifft auf Hebammenmangel

Auf allen Kanälen wird aktuell (und das seit Jahren!) über die negative Entwicklung in der deutschen Geburtshilfe berichtet. Und auch wenn die Politik gerne ein anderes Bild malt, ist der Hebammenmangel inzwischen keine dunkle Prophezeiung mehr, sondern eine Realität, der sich Schwangere, Gebärende und junge Familien tagtäglich stellen müssen. Mancherorts ist die Situation inzwischen untragbar geworden. Frauen finden keine Hebammen mehr für ihre Hausgeburt, keine Hebammen für die Vorsorge, sie treffen auf Hebammen in Kliniken, die drei oder gar mehr Geburten gleichzeitig betreuen und stehen am Ende im Wochenbett ohne Nachsorgehebamme da. Hebammen sind die Fachfrauen für Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Besonders während der Geburt ist ihre einfühlsame Unterstützung für viele einfach unentbehrlich. Aber, was könnt und sollt ihr als Eltern denn nun tun, wenn ihr im Kreißsaal auf überlastetes Personal trefft? Auf was solltet ihr euch einstellen, wie könnt ihr euch vorbereiten, damit ihr euch nicht völlig überrascht und unvorbereitet alleine im Kreißsaal wiederfinden?


Interview mit Anja Lehnertz

Anja Lehnertz ist seit 17 Jahren als Hebamme tätig. Sie ist selbst fünffache Mutter, war jahrelang als Hausgeburtshebamme tätig und arbeitet nun in einer Klinik in Karlsruhe. Sie hat für euch wichtige Fragen zur Krise im Kreißsaal beantwortet und erklärt, was diese Situation konkret für werdende Eltern bedeutet.


Man liest so viel über den Hebammenmangel, wo trifft es Eltern deiner Erfahrung nach besonders?

 

Der Hebammenmangel schlägt sich nun in allen Bereichen der Hebammentätigkeit. Paare finden keine Geburtsvorbereitungskurse mehr, erhalten immer öfter keine Wochenbettbegleitung durch eine Hebamme, die freie Wahl des Geburtsortes ist an einigen Orten nicht mehr möglich, da freiberufliche Kolleginnen aufgegeben haben. Jetzt geht das ganze in Richtung Supergau. Auch die Wunschklinik muss manchmal angemeldete Frauen mit Wehen ablehnen, da dort die Kapazitäten am Ende sind. Hebammen in der Klinik betreuen oftmals drei oder mehr Frauen gleichzeitig unter der Geburt. Für mich ist das die sensibelste Stelle im System. Die Geburt! Eine Geburt benötigt einen geschützten Rahmen und die Frau Bestärkung in ihrem Frausein, in ihrer Kraft.

 

Was können Frauen bzw. Paare tun, wenn sie im Kreißsaal auf überlastetes Personal treffen?

 

Eine kontinuierliche 1:1-Betreuung durch eine Hebamme ist zwar ganz oben auf der Wunschliste der werdenden Eltern, aber wie sieht die Realität deiner Erfahrung nach eher aus? Dieser Wunsch bleibt erst einmal für die meisten ein Wunsch. Leider. Auch für uns Hebammen ist die 1:1-Betreuung die ideale Betreuung für eine Geburt. Die Realität sieht anders aus. Freie Hebammenstellen in Kliniken bleiben unbesetzt, dadurch kommt es zu noch akuterem Engpässen. Hinzu kommen Schließungen von kleineren Geburtstationen, dadurch steigt die Geburtenzahl in den noch offenen Kliniken spürbar an. Drei und mehr Frauen unter der Geburt, dazu Ambulanz, das Telefon und noch die üblichen Überwachungen von Schwangeren. Dass da nicht viel Zeit für das einzelne Paar bleibt ist wohl allen klar. Nur ungefähr 7 % der Frauen in Deutschland bekommen ihre Kinder ohne Interventionen.

 

Hängt diese Zahl mit dem Personalschlüssel zusammen? Was könnte diese Zahl verbessern?

 

Die Interventionsrate unter der Geburt hängt auf jeden Fall mit dem Personalschlüssel zusammen. Evidenzbasiert ist das Wissen, dass eine 1:1-Betreuung die Interventionsrate enorm senkt. Ein höherer Personalschlüssel für die Geburtshilfe muss her, gleichzeitig aber auch eine bessere Vergütung der Geburt an sich. Die Personalkosten sind der teuerste Posten in einem Betrieb und für eine Geburt kann die Klinik und auch die Hebamme nur einen lächerlichen Satz abrechnen, um wirtschaftlich zu sein wird dann oft am Personal gespart.

 

Alle Kreißsäle voll? Was passiert dann?

 

Die Raumkapazitäten sind mittlerweile sehr schnell erschöpft. Frauen über Geburtstermin benötigen ihre CTG-Kontrollen, Frauen unter der Geburt benötigen ihren Kreißsaal und Frauen deren Geburt eingeleitet werden muss auch... usw. In erster Linie versuchen wir als Geburtsteam die Situation abzuschätzen. Haben wir die Befürchtung, dass wir uns mit einer weiteren Betreuung in eine ungute Situation manövrieren, würden wir eine Verlegung in eine andere Klinik anstreben. Ist dies nicht möglich, setzen wir Prioritäten. Das heißt, dass Paare nach der Geburt nicht zwei Stunden im Kreißsaal verbleiben, oder nach einem Kaiserschnitt aus dem Aufwachraum direkt auf Station verlegt werden. Frauen mit leichten Wehen würden wir laufen schicken, um dann zu einem späteren Zeitpunkt hoffentlich Kapazitäten für die Betreuung zu haben. Ein Anruf bei im Kreißsaal bei Wehenbeginn ist auf jeden Fall anzuraten. So kann sich das Personal auf die Ankunft einer weiteren Gebärenden einstellen, oder ggf. gleich an eine andere Klinik verweisen. So erspart sich die werdende Mutter unter Umständen einige Kilometer auf der Straße.

 

Wie viel Zeit werden die Frauen tatsächlich im Kreißsaal verbringen, wenn viel Betrieb ist? (Wann wird die Gebärende auf ihr Zimmer geschickt/wann ins Wehenzimmer/wann in eine andere Klinik?)

 

Generell hoffe ich eigentlich, wenig Zeit. Nicht wegen den Kapazitäten, sondern weil die Wehenarbeit außerhalb des Kreißsaals wesentlich einfacher ist. Am besten man bleibt so lange wie möglich in den heimischen vier Wänden, veratmet die Wehen und meistert dort die meiste Wehenarbeit. Sind die Wehen unregelmäßig oder noch kein Muttermundsvorschritt zu verzeichnen, würden wir die Frauen auf Ihr Zimmer auf Station schicken. Sind regelmäßige Wehen, da aber es hat noch etwas Zeit bis zur Geburt, ins Wehenzimmer und ab einem guten Muttermundbefund und kräftigen, regelmäßigen Wehen die Gebärende im Kreißsaal betreuen.

 

Was können werdende Eltern im Vorfeld tun, um sich nicht alleine zu fühlen/ zu sein?

 

Wer einen Geburtsvorbereitungskurs findet, sollte diesen auch besuchen. Hier werden wichtige Dinge erklärt und Unsicherheiten genommen. Wer es sich leisten kann und eine Begleitung durch eine Doula wünscht, sollte dies tun. Wer noch in der glücklichen Lage ist das es Beleghebammen in der Nähe gibt, sollte sich mit positivem Schwangerschaftstest dort melden.

 

Was können Paare tun, um gut auf eine derartige Situation vorbereitet zu sein?

 

Es ist schwer sich auf eine solche Ausnahmesituation vorzubereiten. Die Männer müssen sich bewusst machen, dass sie unter Umständen lange der einzige Halt der Frau im Kreißsaal sein könnten. Dabei sollte man als Paar im Vorfeld klären, ob das der Partner überhaupt leisten möchte bzw. kann. Gemeinsam gebären ist keine Pflicht! Die Frau muss in ihre Instinkte gehen. Keinen Kopf einschalten, denn sie kann gebären; und das zur Not auch ohne Hebamme. Falls eine zusätzliche professionelle Unterstützung gewünscht ist, sollte das Paar/die Schwangere rechtzeitig Kontakt mit einer Doula aufnehmen! Außerdem empfiehlt es sich einen Geburtsplan zuschreiben und diesen der Klinik bei der Anmeldung vorzulegen.

 

Dürfen Eltern sich eine externe Unterstützung mitnehmen?

 

Sie dürfen nicht. Sie sollen. Ja, auf jeden Fall. Das könnte die eigene Mutter, Tante, eine gute Freundin, oder eine Doula sein. Wichtig ist, dass die Gebärende der ausgewählten Person vertraut und sich vor ihr auch fallen lassen kann.

 

Wie können Eltern ihre Scheu zur Eigeninitiative ablegen? (Auch ohne anwesendes Personal sich frei bewegen, sich einrichten, nach Lust und Laune essen/trinken, etc... also nicht darauf warten, dass es erst "erlaubt" wird)

 

Es ist Euer Körper, eure Geburt, euer Geburtserlebnis! Ihr dürft alles was euch gut tut auch tun oder ansprechen. Die Geburt ist ein dynamischer Prozess, also ist die Unterstützung durch Bewegung immer gut. Hebammen sind vielleicht die Geburtshelfer und Fachfrauen für die Geburt, aber eben nur Helfer. Jede Frau und jedes Paar bestimmt individuell was ihnen gut tut. Natürlich gibt es Rahmenbedingungen die wir in einer Klinik einhalten müssen, aber ein CTG kann z.B. auch in der Wanne oder im Stehen geschrieben werden.

 

Wie können sich Eltern helfen, wenn sie keine Nachsorgehebamme für die Wochenbettbetreuung gefunden haben?

 

Wurde keine Hebamme für die Wochenbettbetreuung gefunden muss das Paar für Probleme beim Kind zu dem jeweiligen Kinderarzt gehen, oder bei Problemen der Frau zum jeweiligen Frauenarzt. Einige Kolleginnen bieten nun auch Wochenbettsprechstunden in ihrer Praxis an. Zwar muss das Paar dort hinfahren und wird nicht zu Hause betreut aber, es ist eine Notlösung, zu der wir Hebammen quasi gezwungen werden. Viele Doulas stehen den Frauen, die sie begleitet haben, gerne auch im Wochenbett mit Rat und Tat innerhalb ihrer Kompetenz zur Verfügung. Wer eine erfahrene Freundin oder Oma hat kann sich auch dort einige Tipps holen. Aber Achtung: Das Leben ist sehr individuell, so kann die Lösung für Eure Freundin nicht unbedingt die passende für Euch sein!


Es bleibt also nur eines zu sagen: Niemand wird prophezeien können, wie ausgelastet eine Klinik am Tag der Geburt eures Kindes sein wird. Ist das eine herausfordernde Situation? Ohne Frage. Ihr könnt euch jedoch mental auf alle Eventualitäten vorbereiten, Szenarien im Kopf durchgehen und gemeinsam mit eurem Partner einen Schlachtplan entwerfen. Stellt euch die Fragen, die euch auf den Weg für eure selbstbestimmte und erfüllende Geburtsreise bringen.

  • Braucht ihr einen Geburtsvorbereitungskurs? Und wenn ja, welcher ist der richtige für euch?
  • Wie lange kannst und möchtest du während der Eröffnungsphase zuhause bleiben?
  • Wo und unter welchen Umständen kannst du dich am besten entspannen und fallen lassen?
  • Ist dein Partner der Aufgabe gewachsen zeitweise ganz alleine für dich da zu sein?
  • Wer könnte euch (beide) in der Situation unterstützen?

Diese Liste lässt sich natürlich um weitere Faktoren erweitern, ganz so, wie ihr es zur Lösungsfindung benötigt. Macht euch Gedanken, zeichnet ein Bild von der möglichen Geburt eures Kindes, und malt dieses in allen Farben, die euch der Regenbogen zu bieten hat. In diesem Sinne: Happy birthing!